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»2007 könnte ein gutes Jahr für bulgarische Kunst werden«

Antje Mayer traf die bulgarische Kuratorin Maria Vassileva in Sofia.

redaktionsbüro: Antje Mayer
Maria Vassileva:
- Die bulgarischen Künstlerinnen, die ich bisher traf, malten mir unisono ein ziemlich düsteres Bild von der Kunstszene in Sofia. Steht es dort derzeit wirklich so schlecht um die zeitgenössische Kunst?
- Es gibt in Sofia dutzende Galerien, aber derzeit keine einzige ernst zu nehmende für zeitgenössische Kunst. In ganz Bulgarien sammeln gerade einmal zwei (!) Personen systematisch Zeitgenös-sisches: eine Unternehmerin, die ganze vier Arbeiten besitzt, und der Künstler Nedko Solakov, unser internationaler Star. Einen Markt für Kunst besitzen wir folglich nicht. Unsere Versuche, ein Museum für zeitgenössische Kunst zu etablieren, gingen schief. Natürlich gehen dann unsere besten Künstler ins Ausland, weil sie dort bessere Chancen erwarten.
- Seit der Wende sind nun schon mehr als 17 Jahre vergangen. In Tschechien, Slowakei, Ungarn, selbst in Rumänien konnte sich die zeitgenössische Kunst etablieren: Es gibt dort inzwischen Galerien, sogar ein paar Sammler. Warum kommt Bulgarien nicht in die Gänge?
- Das hat historische Gründe. Wir haben im Gegensatz zu den genannten Ländern keine Tradition in Konzept- oder Performancekunst in den sechziger Jahren, die ja die Wurzeln für die Gegenwartskunst sind. Unsere Tradition moderner Kunst startet sehr spät, im Grunde erst Ende der 80er Jahre, und dann gleich von null auf hundert. Es ging den Künstlern bei uns im Kommunismus wohl zu gut, so zynisch das auch klingen mag. Aber man lebte als privilegiertes Mitglied der Union bildender Künstler in Bulgarien in friedlicher Koexistenz mit dem Staat. Warum sollte man aufbegehren angesichts der »relativen Freiheiten«, die man besaß: Als Künstler konnte man sogar reisen, hatte sein regelmäßiges Auskommen und be-gegnete größerer Toleranz seitens des Re-gimes. Wegen seiner privilegierten Stellung damals genießt der Berufsstand des Künstlers heute bei vielen bulgarischen Bevölkerungsschichten noch einen eher schlechten Ruf. Was innerhalb der Union damals produziert wurde, vor allem Malerei, gilt in Bulgarien hingegen formal heute noch als »state of true art«.
- Dennoch findet ja zeitgenössische Kunst in Sofia statt, wie ich gesehen habe.
- Veranstaltungen in diesem Bereich kann man verstreut an verschiedenen Orten in Sofia finden, auch bei uns in der Sofia Art Gallery, für die ich als Kuratorin arbeite. Sie ist aber keine Galerie, sondern ein Museum, das Kunst aus dem 19. Jahrhundert bis heute umfasst und innerhalb dessen ich in den vergangenen Jahren selbstständig und mit viel Kraftaufwand den Bereich für zeitgenössische Kunst aufgebaut habe. Unsere Sammlung zeitgenössischer Kunst, die einzige öffentliche im Land dieser Art, umfasst gerade einmal achtzig Werke, die uns die Künstler geschenkt haben, und sogar ein kleines Archiv, zu dem mich im Übrigen die Künstlerdatenbank der »basis wien« inspiriert hat. Positiv ist, dass wir – trotz allem – in Bulgarien ganz hervorragende Künstler vorzuweisen haben, die den internationalen Vergleich nicht zu scheuen brauchen. Ich würde sagen, 25 von ihnen sind wirklich top.
- Wird sich an der Situation nach dem EU-Beitritt Bulgariens etwas ändern?
- Zum Auftakt der EU-Mitgliedschaft präsentierte sich Bulgarien im Ausland bezeichnenderweise mit der Alte-Schmuck-Ausstellung »Meisterstücke aus der Sammlung Vassil Bojkov«. Gegen Bojkov läuft übrigens derzeit ein Verfahren, weil die Herkunft der Stücke im Dunklen liegt. Unser Kulturministerium erkennt nicht, dass zeitgenössische Kunst zu einem neuen modernen Image des Landes beitragen würde, und deswegen kann man sich von dieser Seite auch in Zukunft kaum Unterstützung erwarten, zeitgenössische Kunst im In- und Ausland sichtbar zu machen.

- Wie überleben dann die Künstler in Bulgarien?
- Sie arbeiten fast alle nebenbei. Die ausländischen NGOs sind die einzigen, die substanziell helfen, Initiativen für zeitgenössische Kunst am Leben zu halten, wie das International Center for Art Sofia, Interspace – New Media Art Center, The Red House – Center for Culture and Debate oder die Art Today Association in der Stadt Plodiv. Ich will dennoch nicht so pessimistisch sein: 2007 könnte ein gutes Jahr für bulgarische Kunst werden: Nedko Solakov ist auf der documenta 12 vertreten, und auf der Biennale Venedig haben wir endlich einen Pavillon mit den Künstlern Pravdoliub Ivanov, Ivan Moudov und Stefan Nikolaev. Im September wollen Iliyana Nedkova und ihr Partner Chris Byrne sogar eine kommerzielle Galerie in Sofia er-öffnen. ARC Projects wird sie heißen. Vielleicht fragt ja demnächst auch mal die Istanbul Biennale bei uns an. Hat sie bisher noch nicht, trotz geografischer Nähe. Auch das muss sich ändern.
MARIA VASSILEVA (*1961 in Sofia) ist Chefkuratorin der Sofia Art Gallery.

ANTJE MAYER ist Mitbegründerin des redaktionsbuero, Wien, und Chefredakteurin von REPORT Magazine for Arts and Civil Society in Eastern und Central Europe.


Text erschienen in Spike ART QUARTERLY Nr. 11/2007
Link:Sofia City Art Gallery - Link:Spike Art Quarterly -